Möringen, Dienstag, 18. Mai 1999

Besuch bei einer alten Dame

Frau Marquardt, so hieß die Vermieterin, hatte sich mit dem Frühstück große Mühe gegeben, schließlich war sie auf Quartier nicht vorbereitet gewesen. Für unterwegs durfte ich mir sogar Stullen fertig machen, das fand ich richtig nett. Dann verabschiedete ich mich von ihr und weiter ging's. Ich fuhr auf der Bundesstrasse 188. Dann musste ich mich entscheiden: fahre ich nach Plan oder die B 188 weiter. Ich entschied mich für den Plan.
Die Idee war nicht so gut, stellte ich später fest, denn die Wege waren zum Teil mal wieder besser zum Gehen. Nahrstedt war auch nicht gut ausgeschildert, so hielt ich das erste Auto an, das mir entgegen kam und fragte, wie ich am Besten weiter kam. Ich musste nach Deetz. Der Ort war winzig, es waren höchstens fünf Häuser zu sehen, drei mit großem Garten. In einem dieser Gärten stand eine alte Frau, die mich wie eine alte Bekannte begrüßte: "Grüß dich Lisa, auch mal wieder unterwegs?" - bis sie bemerkte, dass ich gar nicht Lisa war. Sie entschuldigte sich bei mir und begann ihre Geschichte zu erzählen: Vom Ort und der Ziegelbrennerei, die sie mit ihren Mann betrieben hatte und die ihnen im Krieg genommen wurde. Dass der Mann nicht aus dem Krieg zurück kam, sie mit ihren Kindern flüchten musste. Sie fanden Unterkunft auf einem Bauernhof, wo sie hart arbeiten mussten. Dafür hatten sie Kost und Unterkunft frei. Nach dem Krieg bekamen sie unter großen Schwierigkeiten ihr Haus zurück. Seit ein paar Jahren wohnt sie allein hier. Die Tochter besuchte sie hin und wieder, der Sohn ist bei einem Unfall verstorben. Sie hat aber ihren Garten und dadurch immer zu tun.
Danach erzählte ich von mir. Bei so viel Gepäck wollte sie wissen, woher ich kam und wohin die Reise geht, sie staunte nicht schlecht. Über eine halbe Stunde plauderten wir, sie war einfach reizend mit ihren 86 Jahren. Wir verabschiedeten uns, als kannten wir uns ewig. Dann ging es weiter: laufend, fahrend, laufend bis Käthen; dann weiter auf der B 188. Ich kam gut vorwärts, hatte den Wind im Rücken, die Sonne von vorne. In Gardelegen machte ich Rast.
Auch hier wurde ich angesprochen. Denn immer wieder erregte ich Aufsehen durch mein beladenes Fahrrad mit der Berlin-Fahne. Woher und wohin waren die Standardfragen. Je weiter ich kam, um so größer war die Bewunderung der Leute für meine große Tour. Stets begleiteten mich beim Abschied viele gute Wünsche.
Infotafel in OebisfeldeIch kam durch Oebisfelde, der Ort gefiel mir so gut, dass ich wiederum Fotos machte. Als ich weiter fahren wollte, klingelte mein Handy. Mein Sohn Andreas wollte wissen, was seine Mutter so trieb. Ich erzählte es ihm in kurzen Zügen. Wir verabschiedeten uns wie immer sehr herzlich. Nachdem ich eine größere Strecke gefahren war, hörte ich plötzlich hinter mir laute Stimmen. Es waren Radfahrer, die auch unterwegs waren und mir zuriefen: "Von ihnen haben wir schon in Cafe Kampe gehört, wir hätten nicht gedacht, Sie noch einzuholen. Wir wollen auch nach Wolfsburg." Sie hatten mich an der Berlin-Fahne erkannt. Ich erklärte ihnen, dass ich mir die Orte anschaue und auch fotografiere. Nun war ihnen klar, warum sie mich einholen konnten und wünschten noch gute Fahrt.
Weiter nach Wolfsburg zur Jugendherberge. Ich bekam dort ein Zimmer und ein warmes Abendessen. Während des Essens hatte ich nette Gesellschaft: ein Ehepaar aus Holland und eine junge Frau aus England. Mit meinem Zimmer hatte ich großes Glück. Von den vier Betten waren nur zwei belegt. Ich unterhielt mich noch ein wenig mit meiner Zimmernachbarin. Doch bald war ich müde und schlief rasch ein.

[ Kilometerstand: 564 ]

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