Berlin, Samstag, 15. Mai 1999

Aller Anfang ist schwer

Heute ging sie los, die große Tour. Mit einem guten Gefühl stand ich auf, erfüllt mit Vorfreude. Meine übliche Prozedur am Morgen, Kaffee kochen, toasten, baden und frühstücken, war schnell erledigt. Ich schaute aus meinem Küchenfenster und merkte, dass "Batavus" schon unruhig war. Ich sah, wie sich seine Schutzhaube hin und her bewegte, schließlich war es auch sein großer Tag. Erst hörte ich mir noch den Wetterbericht an: es soll so wolkig bleiben wie zur Zeit, mit einigen Schauern muss gerechnet werden. Aber noch war es trocken und ich war bereit. Nun ging ich zu "Batavus", begrüßte ihn, deckte ihn ab, brachte die Haube in den Keller. Mein Mann Jürgen wollte mich unbedingt mit der Bahn bis Potsdam begleiten, von da aus sollte es per Rad losgehen.
Als Jürgen nun das fertige Gepäck sah, war er sehr skeptisch: zwei Seitentaschen, eine Quertasche, den Schlafsack in der länglichen Beuteltasche und die Fototasche, an der ich einen meiner vielen Teddys, mit Schal und Mütze versehen, befestigt hatte. Er schaffte es, mich doch etwas nervös zu machen. Nun ging es an das Beladen, wobei ich mit den Seitentaschen etwas Schwierigkeiten hatte. Die vorhandenen Aufhänger waren falsch eingestellt und mein Werkzeug im Gepäck. Ich werde es in der ersten Unterkunft richten, dachte ich, bis dahin musste es so gehen. Dann alles festgegurtet, die gefüllte Flasche mit Vitamin-Brausetablette angebracht und ab zur U-Bahnstation Alt-Mariendorf. Einige Tage vorher hatte ich mir die Bahnhöfe, die ich benutzen musste, angesehen ob Fahrstühle vorhanden waren. Es gab kein Problem und einen Fahrschein für mein Rad hatte ich mir bereits besorgt. U-Bahnhof Friedrichstraße aber kam die erste Panne. Wir waren gerade mal eine halbe Etage mit dem Fahrstuhl hochgefahren, da ertönte eine Stimme aus der Sprechanlage: "Bitte benutzen Sie die Treppe." Jürgen und ich schauten uns erschrocken an, was nun? So sprach ich einen jungen Mann an, der gerade gemütlich an uns vorbei ging, ob er uns helfen könnte, das Rad die Treppen hoch zu tragen. Er tat es und wir bedankten uns recht herzlich. Der Aufgang im S-Bahnhof Friedrichstraße - das gleiche Spiel. Doch auch hier bekamen wir Unterstützung. Wir fuhren bis Potsdam, liefen bis zum Filmmuseum, verabschiedeten uns endlich und ich fuhr los.
Das letzte Foto vor der Abfahrt Als ich einige Zeit gefahren war und merkte, dass ich gut klar kam, rief ich Jürgen per Handy an und sagte es ihm. Ich war zwar noch etwas zittrig, das hing wohl mit der ganzen Aufregung zusammen. Dann atmete ich tief durch und so ging es langsam besser, nur das Wetter wurde immer schlechter. Es fing auch an zu regnen, ich war noch nicht mal aus Potsdam raus, fuhr aber erst mal weiter.
Schnell konnte ich nicht fahren, dazu war "Batavus" zu schwer beladen und ich auch noch zu unerfahren, es war gar nicht so einfach. Dann schüttete es. Ich hielt kurz an, packte meinen Poncho aus, zog ihn mir über und fuhr weiter. Der Wind hatte sich zum Sturm entwickelt und spielte angeregt mit meinem Poncho, so dass ich zu tun hatte, die Balance zu halten. In Maquardt entdeckte ich eine Imbiss-Stube mit einem kleinen Biergarten davor. Na, das war wie gerufen. Ich fuhr hin, stellte das Rad unter einem Dach ab und ging in die Stube.
Nach einem freundlichen Gruß bestellte ich mir eine Bockwurst und einen Kaffee. Meinen Poncho hatte ich abgestreift. So aß ich in aller Ruhe und überlegte, bis wohin ich fahren könnte, um schnellstens eine Übernachtung zu finden. Es schüttete weiterhin und wurde immer dunkler, ich blieb über eine halbe Stunde, sogar in netter Gesellschaft. Ein Mann hatte sich zu mir gesetzt, zeigte auf die Fototasche, an der mein Teddy befestigt war: Er hätte mich heute schon mal gesehen. Manfred, so hatte er sich vorgestellt, wollte wissen, woher ich kam und wohin es gehen sollte, während er aß. Ich sagte ihm, mein Ziel sei London. Da staunte er nicht schlecht. Er wünschte mir beim Verlassen der Stube alles Gute und ich soll auf mich aufpassen, denn so alleine wäre es doch gefährlich. Ich dankte ihm für seine Fürsorge. Danach zog ich meinen Poncho an, auch die Regenschoner für die Schuhe, bezahlte und fuhr weiter. In Uetz wollte ich versuchen, ein Quartier zu bekommen. Ich fand auch eins, nur war es mir zu teuer. So ging es weiter nach Paretz. In diesem Ort sah ich einen Bauern auf seinem Hof, die Mistkarre aus dem Kuhstall schiebend. Ich sprach ihn an und fragte, ob er wüsste, wo ich übernachten könnte. Hier wäre ihm nichts bekannt und er hätte auch kein Zimmer, aber in Ketzin, im Nachbarort, gäbe es einige Unterkünfte. In meiner Aufmachung muss ich ihm irgendwie Leid getan haben, er schaute mich bedauernd an. Dabei fühlte ich mich ganz gut, obwohl es wieder stärker regnete und der Wind zunahm. Ich bedankte mich, streichelte noch seinen Schäferhund und fuhr weiter nach Ketzin.
Dort sah ich eine alte Dame, die ihr Fahrrad die Straße hinauf schob. Zu ihr fuhr ich hin und fragte sie nach einem Quartier. Ja, dort und dort könnte ich es versuchen, auch gleich in der nächsten Straße wäre etwas. Sie machte mir den Vorschlag, mich zu begleiten, denn die Leute in der Nebenstraße, die würde sie kennen und mir auch empfehlen. Gesagt, getan, sie zeigte rüber zur anderen Seite und sagte: "Sehen Sie drüben den Fleischerladen, dort ist es und das Ehepaar Giese steht wie zum Empfang für Sie da." Herr Giese sah schon aus wie ein Schlachter mit seiner dunklen Hose und dem Unterhemd mit aufgekrempelten Ärmeln und den Hosenträgern darüber. Der Bauch war kugelrund, es fehlte nur noch die Schürze davor, aber es war ja Feierabend und so hatte er sie wohl abgenommen. Frau Giese sah richtig flott aus, sie hatte sich schon umgezogen. Sie trug eine weiße Bluse und einen bunten Rock dazu. Ich freute und bedankte mich, ging rüber zu Gieses, die uns schon beobachtet hatten.
Durch mein beladenes Rad erweckte ich oft Aufsehen, jedenfalls wurde ich neugierig betrachtet. Sie hatten ein Zimmer für mich und für mein Rad eine wunderschöne Hütte. Was wollte ich mehr. So lud ich alles ab, brachte was ich benötigte, auf das Zimmer. Ich bekam sogar ein Kännchen Kaffee spendiert, dazu Kuchen, mir ging es richtig gut. Erst wollte ich noch etwas spazieren gehen, denn es regnete nicht mehr, doch ich war ganz schön müde und ging schlafen

[ Kilometerstand: 405 km ]

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